Wer kennt das nicht. Auf den Hochglanz-Broschüren und auf den Websiten von Unternehmen steht es in großen Lettern geschrieben: „Wertschätzung ist eines unserer Prinzipien“ oder „Wir pflegen einen aufrichtigen, ehrlichen und wertschätzenden Umgang“. Schaut man hinter die Kulissen und richtet man sein Ohr auf den Flurfunk, sieht die Realität häufig anders aus.
“Ehrlichkeit ist mir am Wichtigsten”
Fragt man Menschen nach ihren Werten, rangiert “Ehrlichkeit” üblicherweise ganz weit oben. Das ist auch so, wenn man Mitarbeiter in einer Organisation danach fragt, was ihnen beim Umgang im Team besonders wichtig ist.
Ich frage mich immer wieder, was das wahre Motiv dieser Auswahl ist. Gehen diese Menschen immer ehrlich mit anderen um und melden sich auch bei unpopulären Meinungen zu Wort? Bitten sie ihren Chef zum Gespräch, damit sie diesen wissen lassen können, dass er ihnen scheinbar nie zuhört und die Aussage kürzlich im Meeting verletzend war? Hmmm, Hand aufs Herz. Obwohl aus dem Leben gegriffen, passieren diese Dinge eher selten. Auch bei denjenigen, denen Ehrlichkeit so wichtig ist.
Wie kommt es zu dieser Diskrepanz. Diesem Unterschied zwischen “so möchte ich mich sehen” und dem tatsächlichen “So verhalte ich mich in der Praxis”
Manuel Uguet, ein geschätzter Branchen-Kollege, hatte dazu kürzlich im Seminar ein Parade-Beispiel: “Jeder von uns hat das sicherlich schon ein, zwei Mal im Berufsleben erlebt, dass irgendein Kollege aus dem Haus- vielleicht gar nicht mal aus der eigenen Abteilung – fast falsche Deo benutzt hat. Wenn es nicht gerade der Auszubildende war, wie war da Euer Verhalten? Seid Ihr stets auf ihn / sie zugegangen?
Immerhin, das wäre ehrlich. Es stört einen schließlich selbst, es hinterlässt einen schlechten Eindruck bei Kunden und Gästen und es wäre doch nur fair und ehrlich, es die betreffende Person wissen zu lassen.
Dass es eine vielleicht unangenehme Situation ist: zugegeben. Aber wie wichtig und vor allem wie glaubhaft ist jetzt noch der Wert Ehrlichkeit? Wie sehr wird dieser jetzt gelebt – jetzt wo es drauf ankommt?
Wenn Sonnenschein ist, dann ist es natürlich leicht, sich zu Werten wie Ehrlichkeit oder Respekt zu bekennen. Doch wirklich gelebte, wahrhaftig gemeinte Werte kommen dann zum Vorschein, wenn es eng wird. An den Regentagen, wenn wir auf die Probe gestellt werden. Wenn es drauf ankommt. Und dann geht es vorrangig darum, diese selber an den Tag zu legen – nicht von den anderen einzufordern.
Ich vermute, viele “entscheiden” sich für den Wert Ehrlichkeit, weil sie selbst nicht hinters Licht geführt werden möchten. Weil sie nicht möchten, dass man Ihnen etwas vorenthält. Ganz ehrlich 🙂 Meines Erachtens geht es bei einigen eher um eine Art Selbstschutz. Man möchte nicht verletzt werden. Da geht es teils darum, den Wert von anderen einzufordern, statt ihn zu leben.
Mein Plädoyer: Überlege Dir nicht nur, was Dir im Leben wirklich wichtig ist, sondern hinterfrage kritisch, ob Du diese Wichtigkeit auch wirklich selbst vorlebst, auch in den unangenehmen Situationen, auch wenn es einen Nachteil mit sich bringt?
Und dann entscheide. Entscheide Dich dafür, den Wert wirklich (vorzu)leben oder für einen anderen Wert, hinter dem Du auch wirklich stehen kannst. Das stärkt das Selbstbewusstsein und das Selbstvertrauen.